Ab wann können Kinder teilen? Und wie können sie es lernen?

Manchmal, da sitzen mein Sohn und ich zusammen und er möchte mit mir sein heiliges Joghurt teilen. Sein Lieblingsessen. Er berechnet nicht wie viel er noch hat oder wie wenig ihm bleibt. Er gibt mir einfach etwas ab. Und manchmal wiederum, da sitzt er auf einem Berg Sandspielzeug, mit dessen Einzelteilen er nachweislich nicht zeitgleich spielen kann und seine Schwester hätte gerne eine kleine Schaufel. Und er kann nichts abgeben von seinem Berg. Gar nichts. Oder er hat Besuch und der möchte seinen geliebten Bagger anfassen. Nur anfassen. Geht gar nicht. Aus heiterem Himmel. Woran liegt das?

Das Ich-Gefühl

Bevor Kinder aktiv etwas abgeben können, müssen sie ja erstmal merken, dass es überhaupt ein „mein“ und „dein“ gibt. Das ist für die Kleinen gar nicht so einfach. Menschen sind in einem gewissen Umfang in der Lage, sich in andere hineinzuversetzen, diese Fähigkeit nennt man in der Psychologie Theorie of Mind. Diese Fähigkeit muss sich jedoch erst herausarbeiten. In den ersten drei Lebensjahren sind Kinder selbstbezogen. Das Kind erlebt sich als Mittelpunkt und gleichzeitig Teil seiner Welt (Remo H. Largo). Die Grenzen zwischen dem Kind und seiner Umgebung sind verschwommen. Erst nach und nach nehmen Kinder an der Gefühlswelt anderer Anteil.  Einen Hinweis darauf, dass Kinder zu begreifen beginnen, dass es einen Unterschied gibt, zwischen der Welt und ihnen selbst sind Trotzanfälle. Dabei müssen Kinder achtsam begleitet werden. Von Eltern manchmal belächelt, oft aber auch mit Unmut zur Kenntnis genommen, gehören Trotzphasen nicht nur dazu. Sie helfen den Kindern sogar ihr eigenes „Ich“ herauszuarbeiten. Bis sie jedoch eine ähnliche Definition von Besitz haben wie wir Erwachsenen, vergehen Jahre.

Das passiert beim „zum Teilen zwingen“:

Im Alter von zwei Jahren zählen Kinder zu ihrem eigenen „Selbst“ alles was zu ihrem Leben dazugehört. Zwingt man sie dazu, ihr Stofftier zu teilen, zwingt man sie de facto dazu, einen Teil ihrer Selbst aufzugeben. Das ist ziemlich fies. Es dauert Jahre bis Kinder einen echten Sinn für Gerechtigkeit bekommen. Und den kann man nicht erzwingen, indem man sie zum Teilen drängt. Im Gegenteil: Wer keine Angst davor haben muss, dass ihm etwas gegen seinen Willen entrissen wird, der kann auf Dauer großzügiger sein. Darauf zumindest weisen mehrere Studien hin.

Zwei spannende Studienergebnisse:

Der Schweizer Experimentalökonomen Ernst Fehr hat mit Drei- bis Achtjährigen deren Teilfreudigkeit auf die Probe gestellt. Die Kinder waren eher zum Teilen bereit, je älter sie wurden. Die beiden Entwicklungspsychologinnen Nadia Chernyak und Tamar Kushnir fanden in einer anderen Studie heraus: Kinder teilen lieber, wenn sie sich freiwillig dazu entschlossen haben statt nur der elterlichen Ermahnung zu folgen.  Sie teilten ihre Sticker auch später lieber, wenn sie sich schon vorher freiwillig entschlossen hatten zu teilen.

 Übrigens: Die Aussicht auf Belohnung – das zeigt auch diese Studie – steigert die Motivation zum Teilen nicht. Der Grund liegt auf der Hand: Wenn die Belohnung einmal weg fällt ist die Motivation dahin.

Was können wir Eltern also tun?

Dem Kind sein eigenes lassen

Wenn ein Kind Dinge, die es hat behalten darf und lernt, dass sein Wunsch respektiert wird, kann es freiwillig etwas abgeben – zumindest später. Manchmal tut es das, manchmal eben nicht. Das Leben ist ein Lernprozess und niemand will sein Leben allein auf einem Berg Sandspielzeug verbringen.

Was man nicht tun sollte: Einfach wegnehmen. Weder der „Gewinner“ hat etwas von diesem Konflikt, noch das beraubte Kind. Besser: Den Kindern helfen, ihre Wünsche in Worte zu fassen. „Du möchtest mit zwei Sandschaufeln buddeln. Mit jeder Hand eine. – Und Du möchtest natürlich auch mitspielen. Sollen wir den Till mal fragen, ob Du ihm ein Förmchen halten sollst, damit er den Sand einfüllen kann?“ Indem wir Erwachsenen beiden Kindern eine Stimme geben und den Konflikt durchspielen, nehmen wir nicht nur den Sprengstoff aus der Situation, wir zeigen auch, wie die Kinder selbst Lösungen finden könnten. Die Kinder können dabei jederzeit wieder selbst übernehmen.

Über Gefühle sprechen

Ein Kind hat ja immer einen Grund, wenn es etwas nicht herausgeben will. Vielleicht ist es mit dem Spielen noch nicht fertig oder es liebt genau diese Sandschaufel so, weil er sie von seinem Freund geschenkt bekommen hat, oder es hat Angst, dass das andere Kind etwas kaputt machen könnte. Auch hier gilt: Eltern sollten ihren Kindern helfen, ihre Gefühle und ihren Konflikt in Worte zu fassen. Am besten ohne zu bewerten – Gar nicht so einfach.

Sei ein Vorbild

Wie immer gilt auch hier: Kinder lernen von ihren Vorbildern: Teil Deinen Nachtisch mit ihm. Biete ihm Dein Tuch als Sonnenschutz an oder frag ihn, ob Du mal von seinem Eis probieren darfst. Benutz dabei das Wort “teilen”, um zu beschreiben, was Du tust.

Kind sein heiß lernen und wachsen dürfen

Die Kindheit der Menschen dauert ziemlich lange. Bei manchen bis ins Erwachsenenalter. Das liegt eben auch daran, dass es für Menschenkinder so wahnsinnig viel zu entdecken und zum sich entfalten gibt. Wir sollten unseren Kindern die Zeit und den Raum geben, die sie eben brauchen. Und geduldig sein. Und sie einfach mal in Ruhe lassen. Kinder sind keine kleinen Erwachsenen. Sie lernen Teilen und Rücksicht nehmen, wenn wir es ihnen vorleben. Und nicht durch Zwang.  Genauso ist das übrigens mit der Höflichkeit.

4 Gedanken zu „Ab wann können Kinder teilen? Und wie können sie es lernen?“

  1. Ich habe mich auf deinen Teil unter “Sei ein Vorbild” bezogen. Ergo: Du zwingst deine Kinder zu nichts, lebst ihnen aber vor, wie man teilt. Da stimmt mein Teaser doch… Das ist zumindest die Quintessenz, die ich aus deinem Artikel herauslese.

    Antworten

Schreibe einen Kommentar