Am Anfang sind die Fronten geklärt: Das Baby weint und die Eltern tun alles dafür, dass es dem Kleinen schnell wieder gut geht. Wir Eltern – zumindest die Meisten – verhalten uns bedürfnisorientiert. Doch irgendwann kommt die Zeit, in der Kinder sich auch reiben wollen. Nicht von einem Tag auf den anderen, sondern schrittweise. Nun ist es an mir als Mutter – und das ist eine der schwierigsten Gratwanderungen – auf der einen Seite Bedürfnisse zu befriedigen, auf der anderen Seite aber auch Reibefläche zu bieten und Grenzen aufzuzeigen. Deshalb finde ich das Alter ab ungefähr dem ersten Geburtstag so wahnsinnig schwierig.
Die neue Phase
Kinder entwickeln um den ersten Geburtstag schrittweise immer mehr ihren eigenen Willen, können schon mal sauer werden, wenn es nicht nach ihrem Kopf läuft, gleichzeitig brauchen sie noch so wahnsinnig viel Liebe und Zuwendung. Kennt Ihr das Buch Oje ich wachse? Darin sind die Sprünge in der mentalen Entwicklung von Kindern beschrieben. (Auch wenn ich die Beschreibung der Erfahrung der Mütter darin überflüssig bis blöd finde – eine Mutter hat ihr Kind sogar geschlagen. Bescheuert!….) Die Frage ist: Wann ist Bedürfnisorientierung angesagt und wann Grenzen aufzeigen? Wann biete ich Paroli? Wann will das Kind etwas anderes, als es vielleicht braucht? Was tut dem Kind und auch der Familie langfristig gut?
Jetzt werden so viele Weichen gestellt….
Kinder müssen lernen, dass sie nicht der Nabel der Welt sind, gleichzeitig sollen sie natürlich auch wissen, dass ihre Wünsche und Bedürfnisse wichtig sind und nicht übergangen werden. Vom pflegebedürftigen Bündel werden sie jetzt zu kleinen Persönlichkeiten. Sie sollen lernen, sich an Essenszeiten zu gewöhnen, sie sollen sich an die Regeln, die in einer Familie so gelten halten – all das geht nicht über Nacht. Aber irgendwann kommt der Moment, wo ich weiß, wonach mein Kind meckert, wo ich weiß, was es will oder zu wollen glaubt und ich es ihm trotzdem nicht gebe. Ein komischer Moment, nachdem man bisher in vorauseilendem Gehorsam gehandelt hat. Auch mein Sohn hat mich recht entsetzt angeschaut, als ich ihn zwar in den Arm genommen und getröstet, ihm aber zum ersten Mal willentlich nicht seinen offensichtlichen Wunsch erfüllt habe. Er hat sich beruhigt. Und er wird an Situationen wie dieser wachsen.
Drahtseilakt zwischen Grenzen und Bedürfnisorientierung
Ich bin mir nicht in jeder Situation sicher wie ich mich verhalten sollte und was langfristig gerade das beste ist. Ich werde sicherlich manchmal daneben greifen. Zu lax sein, wenn eigentlich klare Grenzen benötigt würden, ich werde sicherlich auch mal zu hart sein. Gerechtigkeit in der Erziehung – ist das möglich? Ich habe mich von dem Anspruch verabschiedet. Ich werde mich oft falsch verhalten – das weiß ich jetzt schon. Eltern können nicht vollkommen sein – weil Kinder nicht in Schablonen passen und weil Entwicklungsschritte keine Schritte sondern Phasen sind. Ich habe mir das mit der Erziehung bevor ich Kinder hatte irgendwie leichter vorgestellt. Ihr auch?
Wenn Euch das Thema interessiert, dann lest doch auch: Warum unsere Generation Mütter versagt und wie wir doch noch die Kurve kriegen.