Mein Tag beginnt um 5 Uhr morgens – um 8 Uhr geht der Zug. Vorher muss ich packen, meinen 4 Monate alten Sohn so weit versorgen, dass er beim Aufbruch entspannt ist und meine dreieinhalbjährige Tochter fertig machen. Die ist wenig begeistert, als ich sie um halb sieben wecke. Nach unserer ersten kleinen Hektik des Tages sitzen wir um 7.25 Uhr alle im Auto. Mein Mann fährt uns zum Bahnhof.
Regionalbahn und Umstieg mit Hindernissen
In der Regionalbahn mit Kinderwagen müssen wir im Gang auf Klappstühlen sitzen. Nicht ideal. Aber so direkt nach dem Start fesselt uns die Zugfahrt ohnehin noch sehr. Wir beobachten die vorbeiziehende Landschaft, verfolgen den Verlauf der Gleise und spielen „Ich sehe was, was Du nicht siehst“. Dazwischen kommt die erste E-Mail: Unser Zug hat vier Minuten Verspätung. Damit bleiben zum Umstieg nur zwei Minuten. Das wird eng.
Schließende Türen – brüllende Kinder
Nach einer Stunde – kurz vor dem Umstieg in den ICE – wacht mein Sohn auf und brüllt. Ich versuche ihn zu beruhigen. Aber es nützt nichts. Mit brüllendem Kind im Kinderwagen, dem Gepäck und meiner Tochter im Schlepptau hetze ich aus dem Zug und in den Fahrstuhl. Unter angekommen rennen wir zum richtigen Gleis. Meine Tochter und ich nehmen den Sprint mit Humor und laufen um die Wette. Ich sehe keinen Fahrstuhl. Dann müssen wir eben die Treppe nehmen. Wenigstens beruhigt sich mein Sohn im Wagen kurzfristig während der Schaukelpartie die Treppe hoch. Am Gleis angekommen spurte ich zum Zug, aber wir sind zu spät, die Türen gehen nicht mehr auf, der Zug rollt los. „Mama, ich glaub, der Zug fährt ohne uns.“ stellt meine Tochter fest. Ja, das glaub ich auch.
Im Bahnhof
Das ist zwar ärgerlich, weil uns von unserer Zeit in München nun noch eine Stunde abgeht, andererseits gibt es uns die wunderbare Möglichkeit, den Bahnhof zu erkunden. Till schlummert längst wieder ganz entspannt und so machen wir einen kleinen Bummel durch Buchläden und gönnen uns einen Schokoladenmuffin. Beim zweiten Versuch den ICE zu erreichen sind wir natürlich rechtzeitig am Bahnsteig. Im Zug ist die Hölle los. Plätze haben wir nicht reserviert. Würde uns auch gar nichts nützen, schließlich ist das gar nicht der von uns gebuchte Zug. Wir bleiben also wieder im Gang. Diesmal in einem ohne Bänke. Wir stehen und machen es uns später auf dem Boden gemütlich.
Toilettengang im ICE und Vertrauen in Fremde
Logisch, dass meine Tochter nach wenigen Minuten feststellt, dass sie aufs Klo muss. Ich vertraue den Kinderwagen und meinen Sohn also zwei Frauen an, die ebenfalls im Gang warten und zwänge mich mit meiner Tochter ins WC. Bei unserer Rückkehr entwickelt sich ein nettes Gespräch. Florentine malt sich unterdessen eine eigene Zugfahrkarte. Als der Schaffner kommt, stempelt er die Karte ab und scherzt mit meinem Kind. Nach gut einer Stunde zwischen Kinderwagen und feuchtem ICE-Boden, zwischen Tunneln und staunenden Kinderaugen und gemeinsam mit vielen netten Menschen kommen wir in München an. Beim Aussteigen aus dem Zug reißt das Bremsseil des Kinderwagens. Die Räder blockieren. Nichts geht mehr. Auf dem überfüllten Bahnhof versuche ich, den Wagen notdürftig zu reparieren. Klappt. Drama abgewendet.
So macht die Fahrt mit dem Zug Freude
Nun noch zwei Stationen U-Bahn und wir sind bei meiner Freundin und ihrer Tochter. Wir wollen gemeinsam in den Zoo gehen. Florentine darf das U-Bahn Ticket kaufen und ist stolz, weil sie auf den Rolltreppen aufpassen darf, dass auch kein Bändchen irgendwo reinhängt. Ich gebe ihr dauernd kleine Aufgaben. Male ihr ein großes „U“ auf, das sie suchen soll, gebe ihr Geld zum Einwerfen in den Ticketautomaten und so weiter. Das dauert zwar etwas länger, macht aber die Fahrt zum Erlebnis und damit entspannt. Bei meiner Freundin angekommen gehen wir nach einer kurzen Brotzeit in den Zoo. Es ist wunderbar. Die Erwachsenen unterhalten sich. Florentine und ihre neue Freundin entdecken die Tiere und das Baby entspannt.
Überraschende Begegnung abseits von Klischees
Abends um 18 Uhr geht unser Zug zurück. Auch dieser ICE ist brechend voll. Wir entdecken ein paar Plätze in einem Sechserabteil. Ein junger, großer, stämmiger, osteuropäisch aussehender Mann mit grimmigem Blick sitzt allein darin als wir ankommen. Offenbar hat sich bislang keiner zu ihm rein getraut. Ich zögere auch kurz. Aber dann fasse ich mir ein Herz.
Der Fremde hilft uns mit dem Kinderwagen und unseren Rücksäcken. Er stellt sich als sehr nett heraus. Wie fast alle Menschen an diesem Tag. Er ist sehr hilfsbereit, schaut sich bereitwillig die Sticker meiner Tochter an und gibt ihr sogar etwas von seiner Brotzeit ab. Kein Augenverdrehen, als mein Sohn quengelt. Und als ich ihn stille, verlässt er kurz seinen Platz und kommt erst wieder, als ich fertig bin. So kann man sich täuschen. Unser letzter Umstieg ist nochmal etwas anstrengend und die letzte Bahnfahrt bis zum Heimatbahnhof hätte es nicht unbedingt mehr gebraucht. Meine Tochter wurde sehr müde, ich auch. Nur der kleine Till hat den ganzen Stress friedlich verschlafen.
Mein Fazit:
Wer die Herausforderung liebt, wer erst bei ein wenig Hektik so richtig aufblüht und wer den Zauber vieler Begegnungen besonders schätzt, für den ist das ideal. Den Kinderwagen würde ich das nächste Mal – zumindest bei so kurzen Trips – daheim lassen. Nur mit Tragetuch ist man einfach flexibler und schneller. Dabei waren Blätter und Stifte sowie das Stickeralbum für meine Tochter Gold wert. Insgesamt war der Trip ein wunderschönes Erlebnis für mich und meine Kinder. Wir haben die verschiedensten Menschen kennen gelernt und sicher mehr gesehen, als so manch einer beim All inklusive Hotelurlaub. Meine Tochter hat wieder ein bisschen mehr gelernt, mit unbekannten Situationen umzugehen und Stress gelassen hinzunehmen. Eine Lektion fürs Leben. Wir machen demnächst einen richtigen Urlaub im eigenen Land. Natürlich auch dann wieder mit dem Zug. Das ist schließlich das größte Abenteuer. Und dann schicken wir natürlich auch ein paar Postkarten:-) Hoffentlich wird es diesmal klappen;-D
Ihr seid großartig!