Selbstverteidigung für Frauen und Männer

Was würdest Du machen, wenn Dich jemand auf offener Straße angreift? Bist Du darauf vorbereitet, Dich zu wehren? Und weißt Du eigentlich wie Du Dich selbst verteidigen kannst? Selbstverteidigung ist ein großes und wichtiges Thema aktuell. Sich damit auseinanderzusetzen, macht wirklich Sinn. Denn Jeder von uns kann jederzeit in eine Situation geraten, in der er oder sie sich verteidigen muss. Darauf vorbereitet zu sein, ist sehr wertvoll. Dabei kommt es nicht allein auf die richtigen Techniken an. Es kommt darauf an, achtsam zu sein, Situationen gut einschätzen zu können und ganz bewusst zu handeln. Was genau das bedeutet – dem widmet sich dieser Artikel. Er ist in Zusammenarbeit mit meinem Mann entstanden, der seit vielen Jahren Selbstverteidigungskurse speziell für Frauen, aber auch für bestimmte Berufsgruppen anbietet.

Achtsam sein ist die beste Selbstverteidigung

Selbstverteidigung beginnt nicht erst, wenn uns jemand von hinten überfällt und zu Boden reißt. Selbstverteidigung beginnt schon viel früher. Es ist wie beim Autofahren: Du schnallst Dich an, wenn Du einsteigst. Du achtest auf die anderen Verkehrsteilnehmer. Du fährst langsamer, wenn vor Dir ein Lkw in Schlangenlinien fährt. Kurz: Du erkennst potentiell gefährliche Situationen, schätzt sie richtig ein und passt Dein Handeln entsprechend an. Beispiel Aquaplanning: Natürlich ist es toll, wenn jemand sein Auto so gut beherrscht, dass er seinen Wagen auch bei 180 und Aquaplanning wieder unter Kontrolle bringt. Aber die beste Unfallvermeidungsstrategie ist immer noch bei nasser Fahrbahn eben gar nicht 180 km/h schnell zu fahren. Will heißen: tolle Techniken und Spezialwissen sind in keinem Fall hinderlich, aber die eigentliche Selbstverteidigung beginnt viel früher.

Beim Autofahren hat sich so ein Verhalten unter dem Begriff „vorausschauendes Fahren“ etabliert. Das können wir so auch auf den Bereich der Selbstverteidigung übertragen. Die drei Schritte um sich gut selbst verteidigen zu können sind: Erkennen, Bewerten, Handeln.

Selbstverteidigung Schritt 1: Potentiell gefährliche Situationen erkennen

Kennst Du dieses mulmige Gefühl im Bauch, das manchmal hochkommt? Schnelle Schritte hinter Dir im Park? Jemand in der U-Bahn, der Dir einfach merkwürdig vorkommt, ohne dass Du wirklich benennen kannst, warum und ohne dass Du weißt, ob eine Situation tatsächlich gefährlich ist? Es gibt viele Momente in unserem Alltag, da sagt uns unser Bauch eigentlich: Achtung Gefahr. Dieses Bauchgefühl ist unendlich wertvoll. Und das Schöne ist: Es ist ganz automatisch da. Man muss es nicht trainieren. Es ist uns von der Natur mitgegeben.

Dem Bauchgefühl die Chance geben gehört zu werden

Alles was wir machen müssen, ist dem Bauchgefühl die Chance zu geben, sich überhaupt melden zu können. Doch in unserer heutigen Gesellschaft haben wir uns das achtsam sein richtig gehend abtrainiert. Wir lenken uns lieber ab, statt auf unsere Umgebung zu achten. Wir checken Whatsapp-Nachrichten, scrollen durch facebook und hören Musik, während wir uns im öffentlichen Raum bewegen. Unser Bauchgefühl ist nicht mehr auf unsere Umgebung gerichtet, sondern abgelenkt.

entspannte Aufmerksamkeit

Um auf das Autofahrer-Beispiel zurück zu kommen: Niemand käme auf die Idee während dem Autofahren über eine Kreuzung fahrend seine Nachrichten zu checken, statt zu schauen, wer gerade auf die Kreuzung fährt. Das gleiche Mindset braucht es eigentlich auch nachts in der U-Bahn. Wir sollten an einer Haltestelle eben wissen wollen, wer gerade zur Tür hereinkommt und unser Bauchgefühl zulassen. Gleiches gilt natürlich im Park oder wo sonst Menschen eben angegriffen werden könne. Im Selbstverteidigungs-Jargon nennt man die Phase, in der noch nichts passiert ist, aber eben Interaktion mit anderen Menschen stattfindet die gelbe Phase im Cooper-Colour-Code. Sie wird benannt mit „entspannte Aufmerksamkeit“.

Der Ausdruck passt besonders gut, weil „entspannte Aufmerksamkeit“ eben nicht heißt, dass man vor Allem Angst haben sollte, was um einen rum passiert. Man braucht sich nicht dauernd panisch umschauen und hinter jeder Ecke einen Vergewaltiger vermuten. Ganz im Gegenteil. Entspannte Aufmerksamkeit bedeutet, seine Umgebung wahrzunehmen und offen zu sein, das eigene Bauchgefühl aktiv werden zu lassen und anzunehmen.

Selbstverteidigung Schritt 2: Situationen bewerten

Wenn das Bauchgefühl anschlägt neigen viele Menschen dazu es zu ignorieren oder ihre Angst runterzuschlucken. Angst wird oft als etwas Schlechtes abgetan. Häufig reden sich Menschen ein, dass sie keine Angst haben. Dabei ist Angst total wertvoll. Sie erinnert uns daran den Kopf einzuschalten.

Situation analysieren

Eine Situation zu bewerten, geht nur, wenn man sein Bauchgefühl tatsächlich annimmt und vom Kopf analysieren lässt. Der Kopf kann es schaffen, das mulmige Grundgefühl zu einer rationalen Gefahrenanalyse zu machen. Er kann entschlüsseln wo genau welche Gefahrenquellen lauern können. Der Kopf kann die Risiken abwägen und Chancen einordnen. Wenn sich unser Bauchgefühl also meldet, dann kann und sollte der Kopf durchspielen: Was könnte passieren? Wo sind tatsächliche Gefahren? Wie kann ich weg kommen? Wer könnte mir helfen? Wie schnell und ungehindert kann ich laufen? wie sind meine Chancen, wenn ich angegriffen werde?

Angst annehmen

Es ist nie ein Fehler die eigene Angst anzuerkennen und verschiedene Optionen durchzuspielen. Nur wer bereit ist seine Angst als etwas Gutes und Wertvolles anzunehmen, kann im nächsten Schritt auch aktiv werden.

Tapferkeit ist nicht die Abwesenheit von Angst. Tapferkeit ist, dass man trotz Angst handelt.

Selbstverteidigung Schritt 3: Entscheiden: was ist zu tun? – Bewusst handeln

So merkwürdig es klingen mag: Es kommt nicht darauf an WAS Du machst, sondern DASS Du etwas machst. Wer anfängt aktiv zu werden, begibt sich aus der Opferrolle. Nichts tun ist nie besser, als etwas zu tun. Viele glauben fälschlicherweise, dass sich ein Angreifer provoziert fühlt, wenn wir etwas unternehmen. Ich will ein kurzes Beispiel nennen: Nachts im Park hörst Du schnelle Schritte hinter Dir, die näher kommen. Dein Bauchgefühl meldet sich. Du holst Dein Bauchgefühl in den Kopf und machst Dir klar, dass es sein könnte, dass Dich jemand verfolgt und von hinten angreifen will. Entscheidest Du Dich dafür nichts zu tun und einfach weiterzulaufen, dann überlässt Du es dem Zufall, ob die Schritte zu jemandem gehören, der es einfach eilig hat oder zu jemandem, der Dich angreifen will. Wirst Du dagegen aktiv, begibst Du Dich aus der Opferrolle und verbesserst Deine Chancen in jedem Fall.

Aktiv werden

Um aktiv werden zu können, musste Du keine wilde Ninja-Technik beherrschen. Ganz im Gegenteil. Aktiv werden kann heißen die Straßenseite zu wechseln. Aktiv werden kann auch heißen das Handy aus der Tasche zu holen und jemanden anzurufen, der dann einen möglichen Angriff mitbekommen kann. Es kann heißen einen Passanten anzusprechen, in ein Geschäft zu gehen oder an einer Tür zu klingeln.

Selbstverteidigung im Alltag GEfahr an der Treppe

Gefahrenquellen minimieren

Aktiv werden bedeutet also schlicht: Die auf Stufe 2 gefundenen Gefahrenquellen zu minimieren: Bist Du auf einer Treppe, dann bedeutet aktiv zu werden schon, sich am Geländer festzuhalten. Bist Du am U-Bahnschacht, fängt aktiv werden schon an, wenn Du ein paar Schritte vom Schacht weg gehst. Und wenn Du im Zug sitzt, dann kann aktiv werden auch schlicht heißen, das Abteil zu wechseln, wenn es sich für Dich als die beste Lösung darstellt.

Chancen verbessern

Wenn es sich nicht um einen Angreifer gehandelt hat, dann wird er Dein Aktiv-werden vielleicht gar nicht bemerken, weil er Dich nicht beachtet. Selbst wenn Du Dich dafür entscheidest, dermaßen aktiv zu werden, dass Du den vermeintlichen Angreifer direkt konfrontierst, wird ein Unschuldiger nicht plötzlich den Entschluss fassen Dich zu vergewaltigen. Im schlimmsten Fall hält er Dich für etwas überempfindlich.

Wenn es sich aber um einen Angreifer gehandelt hat, dann verschlechtern sich Deine Chancen nicht, indem Du deutlich machst: Ich bin kein leichtes Opfer. Wenn es tatsächlich zum Kampf kommt, dann ist es gut vorbereitet zu sein: Mit freien Händen und nicht mit dem Rücken zum Angreifer. Das sollte aber die letzte Möglichkeit sein. Denn auch das ist klar: Der beste Kampf ist der, der niemals stattgefunden hat.

Bei Kindern ist die beste Art der Prävention übrigens Aufklärung. Das ist nochmal ein ganz anderes, aber nicht weniger spannendes Thema. Lies mehr darüber im Artikel Aufklärung – wieviel sollten Kinder über Sex wissen.

Selbstverteidigung lernen

Konkrete Techniken, um Angreifer auf Abstand zu halten, abzuwehren und so die Chancen zu erhöhen möglichst unversehrt aus der Sache herauszukommen, werden in Selbstverteidigungsseminaren vermittelt. Vielleicht machen wir dazu mal ein paar Videos. Hast Du konkrete Fragen rund um Selbstverteidigung? Dann immer raus damit.

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