Als unsere Katze Finn einmal eine tote Maus anbrachte, wurde dieser Tag zum Tag als ich erkannte, dass im Kinderleben Fantasie und Wirklichkeit verschmelzen. Florentine war da wohl gerade zwei Jahre alt. Ihre Oma war gerade bei uns zu Besuch. Sie ging mit Florentine zur toten Maus und sagte: „Euer Kater ist ja ein fleißiger Totengräber. Er streift durch die Büsche und sucht Mäuse, die gestorben sind, damit sie eine ordentliche Beerdigung bekommen.“ Im ersten Moment war ich etwas verdutzt. Denn eigentlich sag ich meinen Kindern schon die Wahrheit. Dass Katzen Mäuse fressen und dass das zum ewigen Kreislauf eben dazu gehört. Doch beides hat sich für mein Kind überhaupt nicht widersprochen. Und das ist doch ein wunderbarer Zauber. Und aus diesem Zauber besteht die Kindheit.
Der Wasserdampf und die Schäfchen am Himmel
Meine Tochter weiß, dass Wolken aus Wasserdampf sind und trotzdem liebt sie es, wenn ich ihr erzähle, dass ein kleines Mädchen in unserem Trampolin springt – höher und immer höher, bis sie auf einer Wolke landet. Erst weint das Mädchen, aber dann schaut sie über den Rand der Wolke nach unten auf die Erde. Sie fliegt über Frankreich und über den Ozean bis nach Amerika, sie beobachtet Löwen in der Savanne und Eisbären am Nordpol. Und irgendwann ist sie mit ihrer Wolke wieder über unserem Garten. Da fängt es an zu regnen und das Mädchen hält sich an einem Regentropfen fest und landet auf der Erde.
Meine Tochter liebt die Geschichte, das hat sie schon immer. Sie weiß natürlich, dass man nicht wirklich auf einer Wolke sitzen kann und kann es auch nicht lassen, das ihrem kleinen Bruder immer wieder zu sagen. Sie weiß, dass ich mir die Geschichte nur ausgedacht habe und dass das alles natürlich gar nicht sein kann. In echt. Aber sie fiebert trotzdem mit. Sie glaubt es. Es ist Teil ihrer Realität.
grausame Geschichten
Mein Kind liebt echte Geschichten, auch wenn sie grausam sind: Wie sich ein Junge der als Kind in meiner Nachbarschaft wohnte Gesicht und Hals verbrüht hat mit kochendem Wasser. Das will sie ganz genau hören. Und sie will hören, wie unser Freund Michael mit der Hand in die Kurbelwelle einer großen Schreinermaschine geraten ist. Uns Erwachsenen wird schlecht dabei. Doch die Kleine hört gebannt zu und will es nochmal und nochmal und nochmal hören. Ganz genau. Wo die Stiche und Schnitte waren und wie sehr es weh getan hat. Ich habe es ihr sicher schon tausend Mal erzählt. Sie weiß, dass es ehrlich passiert ist, aber trotzdem hat sie so viel inneren Abstand, dass es sie nicht beklemmt, so wie uns. Sie malt sich das Geschehene in ihrem Kopf so aus, wie sie es verkraften kann. Genauso wie die abgeschnittenen Daumen beim Daumenlutscherbub oder die verbrennende Hexe in Hänsel und Gretel.
Geschichten zum Motivieren
Geschichten spornen an und als wir neulich eine Wanderung gemacht haben, die der Kleinen dann doch etwas lang war, da war sie sich sicher, ein Pferdewiehern gehört zu haben. Ganz hinten im Wald. Und wir erzählten uns von den Reitern, die auf der nahe gelegenen Burg gerade trainieren und von den Prinzessinnen, die üben mit der Lanze zu stechen. Florentine war sich sicher, eines der Pferde würde zu ihr reiten und sie dürfe dann aufsteigen und es würde sie bis zum Waldrand tragen. Und dann war der Waldrand schon da. Vor lauter erzählen.
Wirklich Fantasie oder fantastische Wirklichkeit
Ist es nicht so, dass die Wahrheit meist irgendwo in der Mitte liegt? Zum Beispiel wenn wir uns abends im Bett vorstellen, dass das Bett langsam abhebt und aus dem Fenster fliegt, weit weg in den Sternenhimmel, dass die Welt winzig und klein wird und auch irgendwie unwichtig. Und dass wir uns dann mit unseren Betten im Traumland treffen. Ist das nun Fantasie oder ist das Realität? Ich schätze es ist wirklich fantastisch und irgendwas dazwischen.
Die schönsten Bücher um die Fantasie anzuregen, findest Du übrigens hier.