Eine australische Sexualtherapeutin hat im Interview gesagt, Eltern sollten schon ihr neugeborenes Baby fragen, ob sie ihm die Windel wechseln dürfen, statt es einfach zu tun. Deanne Carson hat nach ihrem Interview bei ABC News jede Menge Kritik eingesteckt. Aber was steckt hinter der Äußerung? Und macht es vielleicht tatsächlich Sinn zu fragen?
Mein Körper gehört mir
Indem Carson fordert, Eltern müssten die Intimsphäre ihres Babys von Anfang an achten, spricht sie einen wichtigen Punkt an: Jeder Mensch sollte über seinen Körper selbst bestimmen dürfen. Mein Körper gehört mir: Diese Message ist für Kinder von Anfang an wichtig. Sie ist eine der wichtigsten Säulen gelungener Präventionsarbeit. Kinder sollten frühzeitig lernen, dass ihre persönlichen Grenzen geachtet werden.
Tipp zum später-Lesen: Ein Interview mit Aufklärungsexpertin Sonja Blattmann
Warum die Frage ans Baby Sinn macht
Viele Menschen machen sich über die Forderung Carsons an Eltern lustig. Ein Baby um seine Meinung zu fragen sei doch recht übertrieben – so der Tenor. Allerdings greift das Sich-Lustigmachen zu kurz. Denn es geht natürlich nicht darum mit einem Baby abstrakte Probleme zu diskutieren, sondern ihm zu signalisieren: Du bist ein Mensch und ich achte Dich als Individuum. Insofern ist das Fragen vor dem Wickeln ein Ausdruck dessen, Kinder und ihre Bedürfnisse ernst zu nehmen. Babys müssen nicht nur satt und sauber sein, sondern sollen sich auch verstanden fühlen. Das ist ein wichtiger Punkt.
Wie soll das Baby antworten?
Ein Baby kann natürlich keine ausformulierte Antwort geben: Das ist unstrittig. Allerdings kann bereits ein Baby mit seinem Körper Vieles ausdrücken. Vor allem Unbehagen teilen schon sehr kleine Kinder unzweifelhaft mit. Wenn ein Baby nicht gewickelt werden möchte, könnte es das also sicherlich ausdrücken. Die Frage ist: Was machen wir Eltern mit dieser Information.
Warum ich meinem Baby die Entscheidung über das Wickeln dennoch nicht überlasse
Die Frage, wie wir mit einer ungeliebten Antwort des Kindes umgehen ist zentral. Wenn das Baby immer freudig nickt, wenn wir es nach seinem Einverständnis zum Windeln wechseln fragen, ist es einfach. Was aber, wenn das Baby nicht will? Dann können wir es 10 Minuten später nochmal fragen und später nochmal und später nochmal. Und was dann? Am Ende werden sich verantwortungsvolle Eltern früher oder später dafür entscheiden auch dann zu wickeln, wenn es das Baby nicht will. Wenn ein Baby immer wieder „Nicht wickeln“ signalisiert, obwohl die Windel voll ist und Eltern es dann trotzdem machen, so ist das eine ziemlich heftige Message ans Kind: Ich habe Dein „nein“ erfahren und es ist mir egal. Puh. Ich habe den rhetorischen Fragen schonmal einen eigenen Artikel gewidmet. Und die Frage des Wickelns ist – als Ganzes – eigentlich auch eine rhetorische Frage. Und die finde ich Babys und Kleinkindern gegenüber unfair.
Die Folgen des Nicht-Wickelns
Wenn ein Baby oder Kleinkind länger nicht gewickelt werden möchte, so kann das zum Beispiel daran liegen, dass ihm das Windelwechseln weh tut. Möglicherweise liegt das daran, dass es schon lange nicht mehr gemacht wurde und der Po entsprechend rot ist. Wir Eltern sind in dieser Hinsicht schlicht die Klügeren. Wir haben Erfahrung damit und wissen: Wickeln muss ab und zu sein. Kinder können diesen Horizont gar nicht haben. Die Frage zu beantworten überfordert sie schlicht.
Wer ist betroffen?
Dass Babys und Kleinkinder bis vier Jahre nicht empathisch sind, ist längst bekannt. Eine stinkende Windel betrifft aber nicht nur die Kinder selbst, sondern auch die Menschen, die mit ihm zu tun haben. Ich persönlich wäre nicht bereit in unserer Wohnung eine stundenlang stinkende Windel zu ertragen.
Fazit: Mit Baby in Kommunikation
Natürlich macht es Sinn mit seinem Baby zu reden und seine Empfindungen aufzunehmen und zu spiegeln. Das Wickeln sollte nicht wortlos über die Bühne zu gehen. Wir können es fragen: „Spürst Du wie die Windel voll ist?“ Wir sollten mit ihm sprechen und ihm erklären was passiert: „Ich nehm einen Lappen, der ist schön warm! Dann fühlt sich der Popo gleich wieder frisch an!“ Nur so als Beispiel. Oder auch umgekehrt: „Du magst das grade offenbar nicht. Ich weiß, dass der kühle Lappen etwas unangenehm ist. Gleich haben wir es geschafft!“ Man könnte bei einem wickelunwilligen Kind das Wickeln auch jeweils so lange rauszögern, bis es fertig gespielt hat. Eine Frage wie: „Soll ich das gleich saubermachen oder willst Du das Puzzle erst fertig machen“, gibt dem Kind die Chance mitzuentscheiden und trotzdem wird gewickelt.
Je größer das Kind umso komplexer die Fragen
Einem Zweijährigen kann man den Zusammenhang von nicht-wickeln und stinken und wundem Po vielleicht ansatzweise erklären. Vielleicht kann er dann abwägen. Je älter Kinder werden umso mehr sollten sie in Entscheidungen einbezogen werden. Besonders wenn es um ihren eigenen Körper geht. Aber eben immer nur so sehr, wie es sie nicht überfordert. Kindern ihre Gefühle zugestehen, ihnen helfen Worte dafür zu finden und ihre Intimsphäre soweit wie möglich zu wahren, das sollten wir Eltern versuchen.
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Lustig, genau über diese Meldung mit der australischen Sexualpädagogin habe ich auch schon geschrieben. Für mich ist dabei aber eher die Achtsamkeit ins Zentrum gerückt. Also nicht so sehr wirklich eine Antwort zu erhalten, sondern meinem Kind mitzuteilen, was und warum als nächstes kommt und nicht nur einfach an ihm herumzumachen. Das Wissen, das gewickelt, wärmer angezogen,… was auch immer werden muss, das haben wir Eltern den Kleinen ja nun mal voraus. Die arme Australierin, sie wurde auf jeden Fall gründlich missverstanden
Das ist ja auch mein Fazit. Genau! Da wurde sie glaub ich absichtlich missverstanden. Wobei ich aus den genannten Gründen den Kritikern zustimme: ich finde man sollte Babys nicht fragen, sondern ihnen mitteilen, dass sie gewickelt werden. Rhetorische Fragen sind schon schwierig.
Liebe Grüße Katharina